Den Unfall im Vorfeld verhindern
Da drüben, am Messestand gegenüber, da sprechen sie gerade über Radar, Laser und Lidar. Also über die Techniken, mit denen moderne Fahrassistenten und autonom fahrende Autos ihre Umgebung wahrnehmen. Walter Bobby Hildebrandt (52) hebt kurz den Kopf, dann holt er sein Smartphone aus der Tasche und legt es vor sich auf den Tisch. Das da, macht die Geste deutlich, das ist mein Sensor!
Alle 19 Minuten kommt ein Kind bei einem Unfall im Straßenverkehr zu Schaden, alle vier Tage stirbt eines.
Der Betriebswirt war früher Manager bei Cisco Systems und Senior Vice President bei der Telekom-Tochter T-Systems, aber jetzt leitet er ein zehnköpfiges Start-up namens Coodriver – und denkt über die vielen Sensoren ganz anders als die meisten in der Branche. Ihm geht es nicht darum, die Sensoren der Autos immer weiter zu verfeinern, nein, er hat einen ganz anderen Plan: Er möchte das Smartphone nutzen, um dem Auto und seinem Fahrer zu melden, wenn schutzlose Verkehrsteilnehmer in der Nähe sind – zum Beispiel auf Kinder. „Wir müssen da etwas tun: Alle 19 Minuten kommt ein Kind bei einem Unfall im Straßenverkehr zu Schaden, alle vier Tage stirbt eines“, sagt Hildebrandt.
Das Smartphone ist der ideale Sensor
Dahinter steckt aber eine noch größere Entwicklung: Nach den Autos und der Verkehrs-Infrastruktur wird jetzt auch der Fußgänger digitalisiert – über sein Smartphone. Für Hildebrandt ist das Handy der ideale Sensor: „Das Smartphone ist als Hardware schon vorhanden, und es weiß viel mehr, als Sensoren es jemals könnten. Ist das da vorne ein Kind oder ein Fahrradfahrer? Ein jung aussehender Mann oder ein älter aussehender Junge? In welcher Sprache kann ich ihn warnen? Und wo wird er vermutlich in fünf Minuten sein? Das Smartphone kann das alles wissen.“
Der Meinung ist offenbar nicht nur Hildebrandt. Auch Zulieferer ZF nutzt bei seinem cloudbasierten Algorithmus „X2Safe“ das in Smartphones integrierte GPS, um das Bewegungsmuster von Autofahrern, Passanten und Radfahrern vorherzusagen und sie vor einer Kollision zu warnen.
Das System meldet Zonen mit Kindern
Aber zurück zu Hildebrandt. Der hat mit seiner App „Schutzranzen“ eine praktische Anwendung entwickelt. Ist die App auf dem Smartphone eines Kindes installiert und ein entsprechendes Gegenstück im Auto vorhanden (entweder ebenfalls auf dem Smartphone oder ins Infotainmentsystem integriert), warnt das Programm den Autofahrer, dass er jetzt in eine Zone einfährt, in der sich im Radius von 18 bis 50 Metern Kinder aufhalten. So kann dieser rechtzeitig die Geschwindigkeit reduzieren und den Unfall schon im Vorfeld verhindern. Wichtig ist Hildebrandt dabei, dass das System nicht einzelne Kinder ortet, sondern nur Sektoren mit Kindern (weil er Missbrauch ausschließen will) und dass es keine persönlichen Daten speichert: „Alle Informationen werden sofort nach Gebrauch wieder gelöscht.“
VW hat den digitalen Schutzranzen bereits über MirrorLink in seine Fahrzeuge integriert, anderen Anbietern will Hildebrandt ein SDK zur Verfügung stellen, um die Technik auch in andere Apps zu integrieren. Und für autonome Autos kann es eine vierte Informationsquelle neben Radar, Laser und Lidar sein. Überflüssig werden die ganzen teuren Sensoren also auch künftig nicht sein.